Moin!
Anfang Januar: wenige Plusgrade tagsüber, nachts friert es leicht… der Winter 2021 kündigte sich so richtig an. Diesen Blogpost schreibe ich Mitte Februar und wir wissen, dass es der Auftakt zum schönsten Winter der letzten Jahre sein sollte. An einem Sonntag im Januar schnürten wir die Wanderstiefel – auf unserer Route von etwa 15km lag eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Insel: das Jagdschloss Granitz.
"Die Granitz ist ein Zauberwald und überall in ihm die Magie der Natur. Reizend und hell im Frühling mit seinem Laubdache; schattig und heimlich im Sommer; noch herrlicher mit Farben spielend im Herbste, und selbst im Winter voll einsamer, stiller und malerischer Größe. Sie ist ein alter heiliger Urwald, eine freundliche Wildnis, von breiten Jagdbahnen nach allen Gegenden durchkreuzt, wie ein Park zu durchwandeln."
Freiherr Friedrich Anton von Schönholz, 1846.
Die Granitz – Zauberwald und Jagdgebiet
Die Wanderung startete auf dem Parkplatz des Jagdschlosses Granitz. Etwa 2km schlängelte sich der Pfad entlang einer Pferdekoppel zum Schloss. Am Rande befanden sich einige Texttafeln mit historischen Zitaten, die die Schönheit der Region (völlig zurecht) beschreiben.
Nun lernt man im Leben nie aus – auch nicht über seine Heimat. So lernte ich, dass der Name des Jagdschlosses vom umliegenden Waldgebiet herrührt. Es handelt sich um ein etwa 1000 Hektar großes Gebiet, das zu den attraktivsten Jagdgebieten Norddeutschlands zählt. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts befand es sich im Besitz der Putbusser Fürstenfamilie. Wie es sich für die feinen Herren gehört, plaudert es sich über adelige Angelegenheiten besser, wenn man nebenbei der Jagd frönt. So war die Idee geboren, die zum weitbekannten Jagdschloss führen sollte. Aber alles der Reihe nach…
Solitüde – der Grundstein des Schlosses
Wir befinden uns im Jahr 1726: vor fünf Jahren endete der Große Nordische Krieg, in dem sich auf wechselnden Seiten von u.a. England über die Niederlande, Norwegen, Schweden, Russland und Sachsen um die Vorherrschaft im Ostseeraum kämpften. Der Krieg dauerte von 1700 bis 1721. Rügen stand damals in Folge des Dreißigjährigen Krieges seit 1648 unter schwedischer Herrschaft. Überall finden sich aus der Zeit von Schwedisch-Pommern noch Spuren aus dieser Epoche. Die Putbusser Fürstenfamilie spielte eine aktive Rolle in der schwedischen Diplomatie. Um den hohen Gästen eine ansprechende Unterkunft zu bieten, beschloss Graf Moritz Ulrich den Bau einer kleinen Herberge inmitten der Granitz. Im Jahr 1726 bezogen die ersten Besucher die kleine, komfortable Jagdhütte „Solitüde“ (dt.: „Einsamkeit“). Nur vier Jahre später bekam sie ein Belvedere (dt.: „schöne Aussicht“), wie man einen Aussichtsturm damals nannte. Schon vor fast 300 Jahren war die „Solitüde“ ein beliebtes Ziel des allmählich einsetzenden Tourismus auf Deutschlands größter Insel.
Um die Jahrhundertwende ziehen Napoleons Truppen durch Europa und machen es sich Untertan. Der zur Mitte des 18. Jahrhunderts beliebte Klassizismus verliert seine Anhänger und die Epoche der Romantik bricht an. Inmitten dieser krisenhaften Zeit von Umbrüchen auf vielen Ebenen wird von der Fürstenfamilie beschlossen, den Aussichtsturm abzureißen. Der Belvedere solle (ganz dem Geschmack der Zeit geschuldet) einer Schmuckruine weichen – ein typisches Merkmal der Romantik, deren Stimmung von Sehnsucht und Vergänglichkeit geprägt ist. Letztendlich werden diese Pläne aber wieder verworfen und man besinnt sich stattdessen darauf, die „Solitüde“ zu sanieren. Bevor wir uns aber dem weiteren Lauf der Dinge widmen, muss ein Mann vorgestellt werden, ohne den die Geschichte und vor allem Architektur vieler Teile von Rügen nicht verstanden werden kann: Malte von Putbus.
Malte von Putbus – Diplomat, Soldat, Kulturfreund
Wilhelm Malte entstammte dem Fürstengeschlecht der „Herren von Putbus“ und erblickte im Jahre 1783 das Licht der Welt. Nach dem Studium in Greifswald und Göttingen tritt er wenige Tage vor dem 18. Geburtstag den Stockholmer Leibhusaren bei. Im Jahr 1807 wird er vom schwedischen König Gustav IV. Adolf in den Adelsstand erhoben – Stralsundern und Besuchern der Stadt ist der Name kein unbekannter, ist ihnen sicher die Büste des Regenten im Durchgang des Rathauses aufgefallen. Nach dem die napoleonischen Truppen geschlagen und der Besatzung ein Ende bereitet wurde, erhielt Wilhelm Malte von Putbus das Amt des Generalgouverneurs von Schwedisch-Pommern verliehen. Während der langen Verhandlungen des Wiener Kongresses zur Konstitution einer neuen europäischen Staatenordnung setzte sich der pommersche Fürst dafür ein, Schwedisch-Pommern dem Staate Preußen zuzuschlagen. Der Beschluss wurde durchgesetzt und Malte von Putbus erhielt im Preußischen Provinziallandtag eine „Virilstimme“ genanntes Einzelstimmrecht. Damit hatten seine Entscheidungen wesentlich mehr Gewicht als die anderer Abgeordneter dieser Zeit.
Eine besondere Stellung hatte er darüber hinaus als Diplomat im Dienste Preußens. Die wohl wichtigste Episode dieser Tätigkeit war die Anwesenheit zur Krönungszeremonie von Königin Victoria. Überhaupt ist England ein gutes Stichwort in der Biografie des Fürsten von Rügen. Neben Italien und Frankreich war die britische Insel eines der beliebtesten Reiseziele, von denen er sich immer wieder inspirieren ließ. Die dortigen klassizistischen Bauwerke nahm er als Vorbild für Bauvorhaben auf seiner Heimatinsel Rügen. Damit betraute er die preußischen Hofarchitekten Stüler, Schinkel und Steinmeyer. Aus diesen Kooperationen entstanden u.a. das Theater, die Orangerie und Schlosskirche in Putbus sowie das Badehaus Goor. Als „Krönung“ darf das Jagdschloss Granitz angesehen werden: Architekt war der Berliner Johann Gottfried Steinmeyer, der sich für den Bau von norditalienischen Renaissancekastellen inspirieren ließ. Wer die (Kurz-)Biografie des Putbusser Fürsten kennt, weiß nun auch, warum es so aussieht, wie es aussieht. Malte von Putbus verstarb im Jahre 1854 aufgrund eines Blasenleidens. Sein Wirken prägte das Bild auf der Insel nachhaltig wie kaum ein anderer Zeitgenosse.
Renaissanceflair auf Rügen
Ab 1830 trägt Fürst Malte sich mit dem Gedanken, auf dem Tempelberg in der Granitz ein repräsentatives Jagdschloss errichten zu lassen, auf dem er seine adeligen Gäste empfangen kann. Nach jahrelangen Planungen durch den Architekten Steinmeyer wurde 1837 der Grundstein gelegt. Die Bauarbeiten zogen sich bis 1846. Wer die zuweilen etwas raue Witterung im Nordosten Deutschlands kennt, wird sich nicht wundern, dass nur in den warmen Monaten tatsächlich gebaut werden konnte. Dadurch verlängerte sich die gesamte Dauer bis zur Fertigstellung immens.
Steinmeyer verfolgte mit Fürst Malte die Vision eines norditalienischen Renaissancekastells. Daher bestand das Schloss zunächst aus vier Ecktürmen, die miteinander verbunden sind. In späteren Jahren entwarf der Architekt Karl Friedrich Schinkel einen 38m hohen Mittelturm, der das Jagdschloss bis heute so unverwechselbar und weithin sichtbar macht. Schinkel seinerseits war ein einflussreicher Architekt, in ganz Preußen Gebäude entwarf, so zum Beispiel die Neue Wache in Berlin. Nach ihm entstand die sogenannte Schinkel-Schule, die viele Generationen von Architekten prägte. Vom Mittelturm des Jagdschlosses Granitz kann man bei gutem Wetter über die gesamte Binzer Bucht und bei besten Bedingungen sogar den Ausblick bis zur Insel Usedom genießen.
Das Jagdschloss im Wandel der Geschichte…
In den folgenden Jahren entwickelte sich der Ort zu einem Anziehungspunkt für den ansteigenden Tourismus auf der Insel Rügen. Auch große Namen der Weltgeschichte und Kultur gaben sich am Jagdschloss wiederholt die Ehre. Zu den prominentesten Besuchern zählen Otto von Bismarck, der dänische König Christian VIII., Preußens König Friedrich Wilhelm IV. und die britische Schriftstellerin Elizabeth von Arnim.
Bis 1944 hielt die Familie von Putbus das Schloss in ihrem Besitz. In diesem Jahr rissen die Nationalsozialisten das Gebäude an sich, nachdem Malte Ludolph Franz Eugen von und zu Putbus verhaftet wurde. Hierbei handelt es sich natürlich nicht um „unseren“ Malte von Putbus, der bisher die Hauptrolle spielte, sondern um seinen Ururenkel, der ebenfalls den Vornamen Malte trug. Ihm wurde nicht nur vorgeworfen, Kontakte zu oppositionellen Offizieren zu pflegen, sondern gar in die Operation „Walküre“ vom 20. Juni 1944 verwickelt zu sein. Nach mehreren Gefängnisaufenthalten verstarb Malte von und zu Putbus noch im Februar 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen.
Zur Zeit der sozialistischen Diktatur wurde im Zuge der Bodenreform der Familie von Putbus das Schloss enteignet. Daraus entstand einer der größten Rechtsstreite der Nachwendezeit. Eingerechnet aller Ländereien drehte sich das Verfahren unterm Strich um ein Sechstel der Fläche von Rügen – auch ein Symbol dessen, wie mächtig die Familie über die Jahrhunderte geworden war. Die Klage scheiterte letzten Endes, alles verblieb im Besitz des Landes Mecklenburg-Vorpommerns.
… und heutzutage
Heutzutage befindet sich in der Haupthalle des Schlosses ein Museum. Außerdem wurde die gesamte Einrichtung im zeitgenössischen Stil zur Zeit der Erbauung saniert, sodass der Besucher auch einen authentischen Eindruck bekommt, wie es seinerzeit war. Als wir Anfang Januar 2021 dort ankamen, war der Zutritt aus allseits bekannten Gründen aber leider gesperrt. Der Ausblick wäre aber sicherlich auch nicht so sonderlich berauschend gewesen, zeigte sich das Winterwetter auf der Insel doch von seiner ausgesprochen trüben Seite. Ein Aufstieg und ein Gang durch das Innere dieses wunderschönen Gebäudes wäre selbstverständlich eine lohnenswerte Unternehmung gewesen – schon allein aus fotografischer Sicht. Aber es hat nicht sein sollen. Nun ja, dann gibt es wenigstens einen Grund, demnächst mal wieder dorthin zu fahren!
Warst du schon beim jagdschloss Granitz? Wenn ja, konntest du bis Usedom sehen?
Bis zum nächsten Mal und bis dahin eine schöne Zeit!
Felix
HEIMATLICHT:MV
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