Sommer 2020: Deutschland schwitzt und ächzt unter einer Hitzewelle. Trotzdem begebe ich mich mit einem sehr guten Freund auf eine Radtour, die uns mehr als 90km von Sassnitz über die
Halbinsel Wittow und das Städtchen Gingst schließlich wieder zurück ins heimatliche Stralsund führen sollte. Unterwegs hielten wir an der Dorfkirche Altenkirchen, um eines der wichtigsten
Zeugnisse der untergegangenen Kultur der heidnischen Elb- und Ostseeslawen vor Ort in Augenschein zu nehmen: den Svantevitstein. Möglicherweise schon über 1000 Jahre alt, gibt er uns bis heute
Rätsel auf... Grund genug, zum nunmehr fünften Mal gemeinsam in die Alte Welt abzutauchen!
Svantevit: Wer ist das eigentlich?
Höchstwahrscheinlich kannst du mit dem Namen 'Svantevit' erstmal nicht viel anfangen. Sofern du dich nicht für regionale Geschichte, insbesondere die von Rügen und Umgebung interessierst, dürfte dir der Name nicht bekannt vorkommen. Trotzdem taucht er immer wieder rund um Deutschlands größte Insel auf: beispielsweise Restaurants, Pensionen und Ausflugsschiffe tragen seinen Namen. Welche Bedeutung hatte der Svantevit also?
Nun, das ist heute nicht mehr zweifelsfrei zu rekonstruieren, da viele Quellen aus vorchristlicher Zeit nicht mehr erhalten sind. Historiker sind sich jedoch einig, dass es sich um eine zentrale slawische Gottheit handelt, die besonders für die auf Rügen siedelnden Ranen von großer Bedeutung war. Möglicherweise war er für sie ebenso wichtig wie für andere slawische Stämme der Donnergott Perun.
Sein Bildnis und Hauptheiligtum befand sich in der Jaromarsburg auf Kap Arkona. Sie war eine schwer einzunehmende Feste und gleichzeitig eine der letzten verbliebenen Kultstätten noch nicht christianisierter Völker in Europa. Hier befand sich der Svantevit geweihte Tempel. Das Bildnis zeigte ihn als vierköpfigen Gott, wobei jeder in eine bestimmte Himmelsrichtung blickte. Die Vielköpfigkeit ('Polyzephalie': altgr. 'poly' (viel) + 'kephali' (Kopf)) ist übrigens typisch für slawische Gottheiten im Speziellen bzw. heidnische Götter im Allgemeinen (s. Janus). Er wurde als Gott der Fruchtbarkeit, Ernte und Wahrsagerei verehrt. Svantevits Insignien waren neben den vier Gesichtern ein Trink-/Füllhorn und ein weißer Schimmel.
Die letzte heidnische Festung
Rings um den ehemaligen Standort stießen Archäologen bei ihren Grabungen auf Opfergaben. Daraus schlossen sie, dass dem Svantevit neben (eroberten?) Waffenteilen auch Tiere und eventuell sogar Menschen geopfert wurden. Selbst ausländische Würdenträger wie der Dänenkönig Sven beteiligten sich daran, wie ein auf ihn zurückzuführender zerbrochener Pokal unter den Funden bezeugt. Der Kult hatte auch eine Orakelfunktion. Das wichtigste war die Vorhersage der Ernte. Dazu füllte der Hohepriester Met in ein gewaltiges Trinkhorn und las anhand des Füllstandes und der Beschaffenheit am nächsten Tage ab, wie die kommende Ernte ausfällt.
Nach dem sogenannten 'Wendenkreuzzug', der 1147 ausgerufen wurde und eigentlich nur Bestandteil des wesentlich größeren Zweiten Kreuzzuges unter Heinrich dem Löwen war, unterwarfen die Soldaten des Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation die rügischen Slawen. Das führte schließlich im Jahre 1168 dazu, dass die Jaromarsburg und mit ihr das Heiligtum Svantevits geschleift wurde. Höchstwahrscheinlich wurde dabei auch der sogenannte 'Svantevitstein' aus seinem ursprünglichen Platz gebrochen und fand im 13. Jahrhundert seinen Weg in die Dorfkirche Altenkirchen, in der er sich bis heute befindet - womit wir im August 2020 angekommen wären.
'Svantevitstein' - stimmt das überhaupt?
Das Relikt misst ganze 1,20m in der Länge und 0,75m in der Höhe. Es befindet sich in der Waffenkammer, die später zur Sakristei umgewidmet wurde. Was eine Waffenkammer in einer Kirche zu suchen hat? Nun, die Bewohner Rügens pflegten in der Regel bewaffnet zum Gottesdienst zu erscheinen. Das sah wiederum der Geistliche nicht so gern und erwirkte, dass Waffen bei Betreten abgelegt werden mussten. Um Verwechslungen auszuschließen, wurden verschiedene Hauszeichen in die Wände geritzt, an denen die unterschiedlichen Familien/Gruppierungen ihre Speere usw. ablegten. Die Zeichen ähneln bei genauerem Hinsehen übrigens den nordischen Runen sehr stark! In dieser Wand wurde der 'Svantevitstein' querliegend eingemauert, höchstwahrscheinlich um seine Bedeutung zu erniedrigen und als Zeichen, dass der neue Gott nun im wahrsten Sinne des Wortes über ihm steht. Möglicherweise schwor man bei Betreten des Raumes dem Svantevit ab, bespuckte seine Darstellung sogar. Das ist aber selbst in diesem ohnehin von wenig Quellen belegten Gebiet sehr spekulativ.
Die Bezeichnung als 'Svantevitstein' ist so eigentlich nicht korrekt. Zu sehen ist ein bärtiger Mann mit mächtigem Trinkhorn, Schuhen und tailliertem Mantel. Svantevit wurde allerdings stets mit vier Köpfen dargestellt, was hier völlig fehlt. Nach der Christianisierung Rügens gerieten aber der Gott, seine Riten und Symbole in Vergessenheit. So glaubten viele Menschen schlichtweg, dass der Stein den entthronten Gott zeige und gaben ihm diesen Namen. Heute können wir aber mit Sicherheit sagen, dass es sich nicht um eine Darstellung der heidnischen Gottheit selbst handelt. Was aber stattdessen darauf abgebildet ist, bildet die Grundlage verschiedener Theorien, die ich an dieser Stelle einmal für euch vorstellen möchte:
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Der Priester: Diese Interpretation rührt vom Füllhorn, dem Bart und tailliertem Mantel her. Das war nämlich die typische Kleidung der slawischen Priesterkaste. Die
Darstellung eines Hohepriesters auf einem solchen Stein ergibt aufgrund der hohen gesellschaftlichen Stellung durchaus Sinn.
Dagegen spricht, dass solche Darstellungen tatsächlich sehr verbreitet, in der Regel aber aus Holz und nicht aus Stein gefertigt waren. Das ist für sich betrachtet kein Ausschlusskriterium, wäre aber wohl sehr unüblich. Daher ist bei dieser Deutung auch ein Restzweifel angebracht. - Fürst Tetzlaw: Einige Historiker vertraten die Sichtweise, dass hier gar kein slawisches Bild gezeigt wird, sondern vielmehr das des ersten christlichen Rügenfürsten Tetzlaw. das Füllhorn dient hierbei als Insignie seiner Herrschaft, die er ab 1168 über die Halbinsel Wittow erhielt. Da aber kein einziges christliches Symbol zu finden ist, kann man diese Interpretation heute eher ad acta legen.
- Slawischer Bildstein: Andere Forscher rechnen den 'Svantevitstein' dem Phänomen slawischer Bildsteine zu. Es war bis nach Zentralsien verbeitet und wurde zu Ehren tatsächlich lebender Personen gefertigt, zum Teil aber auch mit kultischen/spirituellen Motiven versehen. Wenn das zutrifft, würde der 'Svantevitstein' auch hier wieder mit seiner vergleichsweise hohen künstlerischen Qualität hervorstechen. Außerdem gäbe es dann einen "Partnerstein", namentlich den Gerovitstein in der Wolgaster Kirche. Gerovit war ein slawischer Kriegsgott, dessen Heiligtum auf Befehl Ottos von Bamberg im Jahre 1128 zerstört wurde. Man könnte in dem Falle auch davon ausgehen, dass der 'Svantevitstein' dann um einiges älter als das 12. Jahrhundert wäre.
- Unbekannte Bedeutung: Die wohl unbefriedigendste Variante. Folgt man dieser Interpretation, dann sehen wir eine Darstellung mit kultischer Bedeutung, die sich uns heute vollkommen verschließt und wohl auch nicht mehr rekonstruierbar wäre.
Nachbetrachtung
Mit welchem Eindruck blicke ich auf den Besuch in der Dorfkirche Altenkirchen zurück? War ich enttäuscht, dass gleich neben dem Stein eine Texttafel stand, die uns sagte, dass es hier keinen Svantevit zu sehen gibt? Nein, denn es ist trotzdem ein tolles Gefühl, vor einem der wichtigsten Zeugnisse der Geschichte meiner Heimat zu stehen. Nach Jahren, den Stein stets nur in Büchern oder im Netz zu sehen, ist der tatsächliche Besuch dann doch sehr befriedigend. Zudem ist es faszinierend, wenn du als an heidnischer Spirutalität interessierter Mensch eines der ganz wenigen Überreste dieser Kultur selbst in Augenschein nehmen kannst - auch, wenn es 'nur' ein Hohepriester ist, der dort dargestellt wird.
Last but not least: was hätte ich groß schreiben können, wenn tatsächlich einfach 'nur' Svantevit dargestellt worden wäre? Dann würde sich doch alles Nachdenken erübrigen. So ist es wieder einmal das Geheimnis, dass mich (und vermutlich auch dich, denn sonst hättest du nicht so weit gelesen) in den Bann dieses Reliktes zieht.
Welcher Theorie neigst du am meisten zu?
Bis zum nächsten Mal und bis dahin eine schöne Zeit!
Felix
HEIMATLICHT:MV
Weiterführende Links:
Ruegen-Magic über den Svantevitstein
Grosssteingraeber.de zum Svantevitstein (mit einigen Bildern)
Suehnekreuz.de zum Gerovitstein
An dieser Stelle habe ich bereits den Wendenkreuzzug erwähnt.
Hier geht es zum letzten Teil der Alten Welt.
Bildquelle Thumbnail:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ac/Slawischer_Grabstein%2C_R%C3%BCgen.jpg?1597865549002
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